Eines der Trend-Buzzwords der letzten Jahre ist “Unified Commerce" (E-Commerce Magazin), doch was verbirgt sich dahinter? Und ist das nicht eigentlich das gleiche wie Omnichannel (Wikipedia)? Welche Implikationen hat das alles auf die technische Architektur? Genau mit diesen Fragen beschäftigen wir uns diese Woche. Comsysto Reply realisiert seit über 15 Jahren komplexe E-Commerce-Lösungen für Kunden aus allen Branchen. Parallel dazu verfolgen und analysieren wir relevante Trends in unserem E-Commerce Lab, um schon heute bereit für die Herausforderungen von morgen zu sein. Unsere Insights teilen wir hier – jede Woche dienstags!
Kurzer Themensprung: Wie war das nochmal mit Predictive Shopping?
Vor einer Woche habe ich an dieser Stelle über das Predictive Shopping Programm von Amazon Prime und über neue EU-Regularien rund um das Thema Rücksendungen berichtet. Bei beidem handelt es sich natürlich um einen Aprilscherz, auch wenn lediglich aktuelle Trends und Diskussionen überspitzt wurden. Dennoch: uns ist kein Fall bekannt, in dem Amazon Prime ungefragt Bestellungen auf Basis von Predictive Shopping zugestellt hat. Jedoch gibt es durchaus Betrugsversuche, die in eine ähnliche Richtung gehen (z.B. Brushing - Erklärung von hifi.de). Was ihr in solchen Fällen beachten müsst, hat die Verbraucherzentrale gut zusammengefasst.
Zurück zu Unified Commerce und Omnichannel
Eines ist klar: Wer auch in Zukunft am Markt bestehen will, kommt um Omnichannel nicht mehr herum. Hiermit ist gemeint dass ein Online Händler nicht nur mehrere Vertriebskanäle nutzt, um seine Kunden zu erreichen (Multichannel) – sondern auch, dass alle Vertriebskanäle eine einheitliche Kundenansprache besitzen und zumindest von Kundenseite wie aus einem Guss wirken.
Der Launch von TikTok in Deutschland diesen Monat unterstreicht die Bedeutung (siehe Newsletter vor einem Monat), die diese Omnichannel-Fähigkeit für ein e-Commerce System hat und somit das Geschäft einfach auf einen weiteren Vertriebs Kanäle ausdehnen kann. Diese Business-Agilität wird in Zukunft noch wichtiger werden. Mega-Trends wie Social Media und KI werden in den nächsten Jahren sicherlich nicht spurlos an uns vorbeiziehen, sondern grundsätzlich verändern, wie moderne e-Commerce Systeme aussehen.
Was ist hier eigentlich das Problem?
Auch wenn der Markenauftritt auf verschiedenen Kanälen wie aus einem Guss erscheint, ist oft die dahinter liegende Daten-und Geschäftsprozesse Landschaft zerklüftet. Es existieren sehr häufig Kanal-spezifische Systeme zur Lagerhaltung, zur Kundenverwaltung, zum Tracking von Kundenaktivitäten bis hin zum Customer Service.

Dies hat oft unschöne Auswirkungen auf die Kundenerfahrung. Der Kunde erwartet, dass der Artikel lieferbar ist, über den er gerade in einer personalisierten Promotion erfahren hat. Oder dass er einen Artikel, den er online gekauft hat, einfach in einem Laden gegen einen anderen Artikel umtauschen kann. Die Erfüllung dieser Erwartung ist nur möglich, wenn die Geschäftsdaten der verschiedenen Systeme nahtlos integriert und somit in Echtzeit synchronisiert werden können.
Das Buzzword Unified Commerce
Grundsätzlich versteht nicht jeder dasselbe unter Unified Commerce. Wenn z.B. ein Zahlungsdienstleister Unified Commerce unterstützt (Beispiel Mollie), heißt das erstmal, dass man den Zahlungsprozess auf allen Kanälen mit ihm abbilden kann, aber dennoch andere Systeme für die restlichen Prozesse benötigt, ganz im Sinne von Composable Commerce.
Anders sieht es aus, wenn man in Richtung von E-Commerce Herstellern (Beispiel New Black) blickt. Hier wird oft Unified Commerce als Schlagwort benutzt, um der Komplexität entgegenzutreten, die oft durch Composable Commerce und deren Best-Of-Breed Ansatz entsteht. Diese Sicht resoniert damit oft speziell bei Unternehmen, bei denen die Migration hin zu Composable Commerce über die Jahre zu einem wahren Zoo an Lösungen geführt hat und gerade dadurch die erhoffte Business-Agilität verhindert.
Wie passt das mit Composable Commerce zusammen?
Auf Composable Commerce sind wir an dieser Stelle bereits vor einigen Wochen näher eingegangen. Grundsätzlich stellt es kein großes Problem für die Datenkonsistenz dar, wenn ein E-Commerce System aus verschiedenen Servicen zusammengesetzt ist, solange die Datenhoheit für einen Prozessschritt nicht aufgeteilt ist. So kann es ein System für die User-Verwaltung und den Customer Support geben, bei dem andere Systeme die benötigten Daten abfragen oder ändern können. Wichtig ist lediglich, auf die Größe der Abfrage-Kaskaden zu achten, denn für die Beantwortung einer Benutzer-Abfrage ist oft eine ganze Menge Kommunikation mit verschiedenen Systemen notwendig.

Dieser Problembereich ist allerdings nicht neu oder e-Commerce-spezifisch und es existieren erprobte Lösungsstrategien, die sich in Microservice-Architekturen schon seit langem bewähren.
Domain-Driven Design und Event-Driven Architecture
Microservice-Landschaften werden oft basierend auf (Business-)Domänen geschnitten. So kann sich die Software für alle nachvollziehbar mit dem Produkt und den Geschäftsprozessen weiterentwickeln und es kommt seltener zu bösen Überraschungen im Laufe des Lebenszyklus des Systems. Dies führt auch dazu, dass bestimmte Teile von Geschäftsprozessen klar auf bestimmte Services gemappt werden und so die Datenhoheit immer bei genau einem Service liegt. Um die richtigen fachlichen Modulgrenzen (Bounded Context) zu finden, werden oft Methoden aus der kollaborativen Modellierung (CoMo - hier findet ihr einen Einstieg in das Thema) verwendet z.B. Event Storming, so dass auch der bestehende Business Prozess so passgenau wie möglich abgebildet werden kann.
Um Latenz-Zeiten von Endbenutzer-Anfragen niedrig zu halten und Request-Kaskaden vorzubeugen, wird oft Datenreplikation mit Hilfe von Events verwendet. Hierbei sendet ein Domänen-Service Events (z.B. über Kafka) bei einer Datenänderung, so dass andere Systeme Ihre lokale Kopie der benötigten Daten in nahezu Echtzeit aktualisieren können. Dieses Verfahren bietet einen guten Kompromiss zwischen der Unabhängigkeit der Systeme, Aktualität der Daten und der Endbenutzer-Experience.

Das war’s für heute – und so geht es weiter
Wie man sieht, verbirgt sich hinter dem Buzzword Unified Commerce eine ganze Schar an Ideen, wobei unserer Meinung nach die Synchronisation bzw. Konsolidierung von Business-Daten der wichtigste Aspekt ist. Dabei stehen eine Unified Commerce und gut umgesetzte Composable Commerce Strategie nicht im Widerspruch.
In den nächsten Wochen werden wir noch häufiger beleuchten, in welchem Zusammenhang aktuelle Trends und Herausforderungen im e-Commerce mit weiteren Schwerpunktthemen der Comsysto Reply stehen - sei es nun kollaborative Modellierung, Software-Architektur, Observability, oder die Renovierung von bestehenden Systemen. Genau wie bei einer guten Composable Commerce Strategie gilt: nur wenn wir die besten Bausteine effektiv zusammenfügen, werden wir letztendlich am Markt erfolgreich sein!
Bis nächste Woche!
Christian & das Comsysto Reply e-Commerce Lab